Eine der schönen Freiheiten eines Blogs ist es, verglichen mit den bösen, kommerziellen Magazinen - einfach frei heraus und fern jeder PR sagen zu können: Diese Spiel müsst und solltet ihr kaufen. Und spielen, ein Mal, zwei Mal, drei Mal aber bitte, bitte, mit wachem Geist, geöffneten Gefühlskanälen und drei, vier Stunden ungeteilter Aufmerksamkeit. Es geht um Brothers - A Tale of Two Sons, dass ich wirklich nur jedem, der Spiele nicht nur als Zeitvertreib ansieht, allerallerwärmstens ans Herz legen kann und das, obwohl es schon ein paar Monate auf dem Buckel hat. Bei mir landete es aufgrund einer Sommer-Hype-Allergie erst einmal in der Steam-Warteschlange, bevor es kurzzeitig in Vergessenheit geriet und erst wieder an die Oberfläche kam, als ich mich nach einem Gegenprogramm zu Battlefield 4 sehnte. Und mal ehrlich, ich habe nichts gegen Ballereien und, wie in meiner Review zu lesen ist, nicht einmal etwas gegen die 08/15-Kampagne von Battlefield 4, aber, und da meine ich wirklich so richtig ABER: Größer kann der Unterschied zwischen Brothers - A Tale of Two Sons und einem Shooter nicht sein. Auf der einen Seite, äh, na ja, nur frontale, oberflächliche Action und dort eine herzzerreißende und wunderbare Reise, die mich derart tief berührte, wie es vorher nur Journey schaffte.
Brothers - A Tale of Two Sons stammt aus der Feder von Josef Farres, den Liebhaber des skandinavischen Kinos vielleicht als Autor und Regisseur der beiden Filme Kops und Jalla! Jalla! kennen, die ich zwar gesehen, aber nicht sonderlich gut in Erinnerung habe. Ist auch egal, denn was das Ausloten von menschlichen Emotionen und deren Übersetzung in ein Spiel betrifft, müssen die Filme gute Fingerübungen für Brothers gewesen sein, womit sie sich auch schon wieder gelohnt haben. Wie zu erahnen ist, spielen wir zwei Brüder - aber, und das alleine ist schon etwas Besonderes, spielen wir beide gleichzeitig. Den einen mit dem linken Stick, den anderen mit dem rechten. Wozu das führt? Erst einmal zu einer gewissen Eingewöhnungsphase in Sachen Steuerung, aber noch mehr zu einer sehr unmittelbaren Beziehung des Spielers zum Brüderpaar. Die beiden sind nämlich in der Summe mehr als nur zwei „Männchen“ und das liegt nicht nur am Script, sondern auch am Spieler als verbindendes Element. Ohne uns geht es ja nicht. Und mit der Zeit wuchsen mir die beiden richtig ans Herz, erst einmal, weil man sich so schön aneinander gewöhnt und gemeinsam eine aufregende Reise unternimmt, und zweitens, weil ihnen vom Entwickler Starbreeze eine gehörige Portion Charakter geschenkt wurde.
Da sitzen sie, mit Blick auf ihr Elternhaus.
Bemerkenswert ist dabei, dass Brothers - A Tale of Two Sons perfekt mit seiner Kauderwelschsprache funktioniert. Keines der Worte der Charaktere ist zu verstehen, zumindest den Lauten nach. Tonfall und Gestik reichen völlig aus, mich erinnerte das an Urlaube in der Kindheit in Griechenland oder Jugoslawien, als man sich bestens mit den „einheimischen Kindern“ am Kieselstein-Strand verstand, ohne auch nur ein einziges Wort mit ihnen wechseln zu können. Es sind eben manchmal die Taten, die für sich sprechen. Der Größere ist der stärkere, sportliche und pragmatischere der beiden Brüder, während „der Kleine“ eher die Emotionen und künstlerische Seite abdeckt.
Doch worum geht es eigentlich in Brothers - A Tale of Two Sons? Rein mit Blick auf die Story um die beiden Brüder, die ein „kostbares Gut“ finden wollen (ja, ich weiß, schrecklich umschrieben, aber hier mag ich nicht spoilern), womit sie ihrem schwer kranken Vater helfen wollen. Da ihre Mutter schon gestorben ist, geht es auch um die Angst, noch im Kindesalter Waise zu sein. Das ist nur die Basiskonstruktion, der Rahmen, denn wie es bei einer Reise so ist, steht sie immer auch für sich selbst. Und wie unschwer zu erraten ist, steht bei dem Abenteuer die Zusammenarbeit im Vordergrund, und das ist nicht nur rein gameplayteschnisch zu sehen, sondern auch in Bezug auf all die herzerweichenden Charaktere und Geschöpfe, die unsere Wege kreuzen und die uns und denen wir helfen.
Wer sich Zeit nimmt und experimentiert, lernt die Charaktere aus verschiedenen Perspektiven kennen. Hier treffen wir abseits des Weges auf den Mann mit der Harfe. Während der große Bruder böse schrammelt, hat der Kleine Talent.
Im Spiel übersetzen wir die Kooperation dadurch, dass meist ein Junge alleine das Problem - zumeist sind es Adventure-artige Rätsel - nicht lösen kann und zwingend die Unterstützung seines Bruders benötigt. Zum Beispiel kann der jüngere Bruder nicht schwimmen, weswegen wir bei diesen Passagen mit dem großen Bruder den Kleinen auf dem Rücken mitschleppen müssen. Auch die klassische Räuberleiter gibt es ebenso wie Schalterrätsel, die aber allesamt nicht sonderlich herausfordernd sind und es auch gar nicht sein müssen. Rein gameplaytechnisch, auch weil es ein klein wenig kniffliger wurde, gefielen mir die Kletterausflüge; das war wie bei Uncharted, als es noch schwer war und verlangt gewisse Fingerfertigkeiten. Aber eigentlich, um ehrlich zu sein, lenken die meisten Rätsel von der Geschichte ab. Wo Brothers - A Tale of Two Sons zu Beginn arg knuffig Fable-like daher kam, hört es recht schnell auf süß zu sein und entdeckt die düsteren Töne.
Ein Balanceakt sondergleichen. Hier können wir sehen, warum Brothers - A Tale of Two Sons kein Spiel für Kinder ist.
Interessant ist dabei, dass die Welt umso trauriger, gefährlicher und kälter wird, desto besser wir mit den Brüder umgehen und auf Hilfe von Wegbegleitern bauen können. Und auch die wundervollsten Passagen des Spiels finden wir in den dunkelsten Ecken. Das können wir nun metaphorisch ausbreiten, es aber viel lieber lassen, weil sich jeder, der soweit im Spiel gekommen ist, schon von alleine den Fragen stellt und um Antworten ringt. Dass Brothers - A Tale of Two Sons es möglich macht, in sich zu gehen und kurz inne zu halten, ist schon Grund genug es zu spielen. Von den Gefühlsausbrüchen zum Ende hin mal ganz zu schweigen. Nur soviel: Es ist eines der aufwühlendsten Enden der Spielgeschichte, meiner Meinung nach, und es lies mich so staunend, bewegt und erfüllt zurück, wie es eben zuvor nur Journey schaffte.
Zum Abschluss noch eine kleine Galerie der aus meiner Sicht beeindruckendsten Aussichtspunkte und für das Spiel typische Screenshots. Öfters finden wir Bänke am Wegesrand und ich kann nur empfehlen, dort kurz Rast zu machen. (Jeweils 2x pro Bild klicken, keine Ahnung warum, aber ich kriege die Extra-Seite mit den Miniversionen nicht raus…)
2 Comments
Poly
Das wollte ich auch noch unbedingt kaufen, aber irgendwie hab ich es dann beim Sale verpennt. Dank deines Artikels ärgere ich mich jetz noch mehr.
Jens
Der nächste Sale kommt bestimmt, dürfte ja wohl um Weihnachten herum wieder soweit sein. Brothers müsste dir gefallen, eigentlich, daher kann ich deinen Ärger gut verstehen! 😉